Praxiseindrücke satt – Exkursionsbericht FB BW
Die Teilnehmer kamen aus verschiedenen Fachsemestern des Bachelor- und Masterstudienganges.
In unserer Exkursion haben wir in einem prallvollen Programm insgesamt acht Stationen „abgearbeitet“ und dabei exklusive Einblicke hinter die Kulissen erhalten. Wir starteten inhaltlich bestens vorbereitet, da in der Woche zuvor ein langer Vortragstag mit insgesamt 16 studentischen Referaten mit engem Bezug zu unseren Besichtigungsstationen stattgefunden hatte.
Los ging es am 16. Dezember um 7:30 Uhr an der Ernst-Abbe-Hochschule im angemieteten Reisebus. Dieser steuerte mit dem Unternehmen Storck KG in Ohrdruf unser erstes Ziel an. Kaum einer weiß es: Mit über 1700 Mitarbeitern und weiteren Ausbauplänen ist das Unternehmen einer der größten Arbeitgeber in Thüringen. Nach einer ausführlichen Präsentation durch den Personalleiter, Enrico Sachse, zur langen Historie, zum breiten Produktsortiment (u.a. Knoppers, Merci, Toffifee) und zu den Spezifika des Produktionsstandorts erhielten wir durch einen aktuellen Trainee noch interessante Informationen zu Struktur und Ablauf der Traineeprogramme bei der Storck KG. Eine anschließende Besichtigung des über 30 Meter hohen, vollautomatisch betriebenen Hochregallagers mit seinem „chaotischen Einlagerungssystem“ hinterließ im Verbund mit den logistischen Eckdaten einen bleibenden Eindruck zu modernen Systemen der Lagerlogistik. Und ganz unerwähnt sollen natürlich auch der nette Empfang mit einem großzügigen Frühstücksbuffet und die Verabschiedung mit einem großen Beutel Storck-Süßigkeiten nicht bleiben.
Am gleichen Tag reisten wir weiter zu B.Braun nach Melsungen. Mitten in der nordhessischen Provinz versteckt sich ein weltweit tätiger, seit Generationen familiengeführter Gesundheitskonzern mit ca. 7 Milliarden Umsatz. Wir haben in einer vierstündigen Führung die Fertigung von Infusions- und Ernährungslösungen und der Infusionsüberleitungsgeräte besichtigt. Beeindruckend waren die detaillierten Erläuterungen zu den hohen Sicherheits- und Hygienestandards, die bei der Fertigung eingehalten werden müssen. So betreibt BBraun zum Beispiel eine eigene Wasseraufbereitungsanlage für hochreines Wasser und fertigt zum Teil in Reinräumen, in denen 99% der Verunreinigungen aus der Luft gefiltert sind. Auch die Logistik war auf dem neuesten Stand: Führerlose Transportsysteme und Roboterunterstützung allenthalben.
Nach einer Übernachtung in einem Hotel in Göttingen fuhren wir am zweiten Tag nach Einbeck, um als Gäste an der Hauptversammlung der Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS AG), einer der ältesten deutschen Aktiengesellschaften mit Wurzeln in Sachsen-Anhalt, teilzunehmen. Immerhin etwa 1000 Anteilseigner hatten sich zur jährlichen Aktionärsversammlungen eingefunden. Über mehrere Stunden konnten wir den typischen Verlauf einer Hauptversammlung erleben, so wie ihn das Aktiengesetz vorschreibt: Abarbeitung der Einladungsformalia, Bericht des Aufsichtsrats, Bericht des Vorstands zum abgelaufenen Geschäftsjahr und zu den zukünftigen Planungen, Fragen und Kommentierungen der Aktionäre und schlussendlich die Abstimmung über die Tagesordnung. Zu den abstrakten Festlegungen des Aktiengesetzes zu den Organen einer Aktiengesellschaft (Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung) haben wir nun jedenfalls konkrete Gesichter und Bilder vor Augen. Für die PS-Junkies gab es noch ein Schmankerl nebenher: Die Hauptversammlung fand im „PS-Speicher“ in Einbeck statt, einem Museum mit einer beeindruckenden Sammlung historischer Fahrzeuge. Weniger technikaffine Teilnehmer nutzten die Zeit bis zur Weiterfahrt für eine Besichtigung von Einbeck samt Weihnachtsmarkt.
Der Abend war dann weitgehend BWL-frei und stand eher im Zeichen eines Studium Generale. In Hannoversch-Münden bekamen wir eine 90-minütige Stadtführung. Unterhaltsam aufbereitet, erfuhren wir viele interessante Details zu historischen Ereignissen, zur Fachwerkarchitektur, aber auch zu aktuellen Strukturen und Problemen der Stadt. Durchaus hohen Schauwert hatten die ganz überwiegend sehr gut renovierten 660 Fachwerkbauten der Altstadt.
Nach einer weiteren Übernachtung in Göttingen war dann am dritten Tag die KWS AG nochmals unser Gastgeber. Ein Besuch der Betriebsstätte von KWS in Einbeck stand auf dem Programm. In einem umfangreichen Vortrag erfuhren wir viel Interessantes zum Unternehmen und zu den internationalen Saatgutmärkten, insbesondere Mais und Zuckerrübe. Einige Diskussionen auf der Hauptversammlung tags zuvor waren dadurch noch besser einzuordnen. Im Rahmen des zweistündigen Besuchs bekamen wir konkreten Einblick in den komplexen Produktionsprozess von Saatgut für Zuckerrüben. Es war schon erstaunlich zu sehen, welcher Aufwand betrieben werden muss, bis eine „Saatgutpille“, überzogen mit Auskeimhilfe, Schutz gegen Pilzbefall und Vogelfraß, einsatzfertig im Verkaufskarton landet.
Die Reise setzten wir in Richtung Salzgitter zur Salzgitter AG fort. Am Hauptstandort des zweitgrößten deutschen Stahlherstellers erwartete uns zu Beginn einer insgesamt 3,5-stündigen Führung durch einen höchst fachkundigen Experten mit 40-jähriger Betriebserfahrung zunächst ein informatives Video zur Stahlproduktion und zu den zentralen betriebswirtschaftlichen Eckdaten des Unternehmens. Nach der obligatorischen Sicherheitseinkleidung mit Helmen und Schutzbrillen ging es dann mit dem Bus über das sehr weitläufige Werksgelände und zu Fuß hinein in die Produktionshallen zu einer „Wanderung“ von mehreren Kilometern. In keinem anderen Stahlwerk der Welt kann man das faszinierende Schauspiel eines Hochofenabstichs mit glühenden Eisenströmen und Funkenregen so hautnah erleben. Kaum weniger beeindruckend ist dann zu sehen, wie in einem Walzwerk aus rotglühenden Brammen letztendlich Flachstahl wird, der dann unter anderem im Automobilbau eingesetzt wird. Neben dem „Fest für die Augen“ waren aber auch die historischen Informationen zur Entstehung des Werkes (Gründung durch Nazideutschland zur Erhaltung der Autarkie im Kriegsfall) und insbesondere die Einblicke interessant, wie man Schwerindustrie auch heute noch in Deutschland wettbewerbsfähig und umweltverträglich betreiben kann. Hinter den großen und rustikalen Anlagen steht eine Menge High-Tec und Ingenieurskunst.
Nach Salzgitter führte uns der Weg zur Übernachtung nach Leipzig und die Innenstadtlage des Hotels ermöglichte mit kurzem Weg die Realisierung individueller Freizeitideen am Abend, beispielsweise die Erkundung des Weihnachtsmarkts.
Am letzten Tag stand zunächst eine Besichtigung am Leipziger Flughafen an. Da eine Begehung und Befahrung der sicherheitskritischen Bereiche auf dem Vorfeld geplant war, mussten wir uns, inklusive unserer Koffer, einer intensiven Sicherheitskontrolle unterziehen. Wir lernten die Prozessabläufe der Passagierabfertigung, die Feuerwehrstelle und die Infrastruktureinrichtungen des Flughafens kennen. Während einer ausführlichen Bustour über das gesamte Flughafengelände inklusive des Frachtbereichs von DHL wurden vielfältige Informationen zu den Strukturdaten des Flughafens, aber auch zum Thema Flugsicherheit geboten. Besonders nachdrücklich sind uns zwei Zahlen aus dem Feuerwehrbereich im Gedächtnis geblieben: Innerhalb von 30 Sekunden nach Alarm muss das Fahrzeug abfahrbereit sein und innerhalb von drei Minuten jeden beliebigen Punkt am Flughafen erreichen. Ist dies nicht gewährleistet, erlischt sofort die Betriebsgenehmigung für den gesamten Airport.
Den Schlusspunkt setzte dann eine 2,5-stündige Führung im Leipziger Werk der BMW-AG. Über 800 Fahrzeuge laufen hier an jedem Tag vom Band. Unter fachkundiger Führung konnten wir die hochautomatisierte Fließfertigung, Roboterstraßen und Lackiererei erleben. Der gesamte Produktionszyklus von der Verschweißung der Rohkarosserien, der Realisierung aller Einbauten (Scheiben, Kabelbäume, Armaturenträger, Sitze), über die Zusammenfügung von Karosserie und Fahrwerk (die sog. „Hochzeit“) bis hin zu den Schlusstests des fertigen Fahrzeugs waren nachvollziehbar zu beobachten. Und wer bis dahin noch keine richtige Vorstellung von „hocheffizienten Fertigungssystemen“, „moderner Produktionslogistik“ und „Ersetzung menschlicher Arbeit durch Technologie“ hatte, jetzt hatte er sie ….
Um 18:30 Uhr endeten dann an der Ernst-Abbe-Hochschule vier interessante, eindrucksintensive und höchst lehrreiche Tage in einer sehr harmonischen Gruppe.
Autoren: Christin Sonja Masih und Maria Tonapetyan