„ErziehungsZwang - ZwangsErziehung“
(25. September 2020) Unter dem Titel „ErziehungsZwang- ZwangsErziehung“ findet vom 5. bis 16. Oktober 2020 in Jena eine Veranstaltungsreihe zu historischen und aktuellen Aspekten von Jugendhilfe statt.
Erziehung stellt sich offenbar für jede Gesellschaft als unverzichtbar dar. Auch wenn die jeweiligen Idealvorstellungen und Begründungen differieren, der Erziehungszwang wird kaum in Frage gestellt. In Kontexten der Jugendhilfe wurde und wird dieser zum Teil in Zwangserziehung übersetzt - als Erziehung gedacht, von den betroffenen Kindern und Jugendlichen als Zwang und Repression erfahren.
Mit der Veranstaltungsreihe wird Zwangserziehung im Alltag von Jugendhilfe bzw. in der Heimerziehung in unterschiedlichen Systemen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten thematisiert: DDR-Jugendhilfe/Heimerziehung – Heimerziehung der 1950er bis 1980er Jahre in der BRD – Zwang in der Jugendhilfe heute.
Der Schwerpunkt DDR-Jugendhilfe/Heimerziehung wird veranschaulicht anhand einer Wanderausstellung der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau: „ZIEL: UMERZIEHUNG. Die Geschichte repressiver Heimerziehung in der DDR“.
Die Ausstellung wird vom 5. bis 16. Oktober im Untergeschoss der Goethe Galerie präsentiert und ist kostenfrei zugänglich.
Parallel zur Ausstellung wird im Kino im Schillerhof eine Filmreihe präsentiert, mit der an vier Abenden Dokumentar- und Spielfilme gezeigt werden, die öffentliche (Erziehungs-) Maßnahmen ganz unterschiedlich aufgreifen. Dazu finden jeweils Filmgespräche mit Gästen statt:
6.10.2020 | 18 Uhr: „Heim“ (DDR 1978) und „Jugendwerkhof“ (DDR 1982)
Im Gespräch: Roland Steiner (Regisseur Jugendwerkhof)
Moderation: Manuela Rummel (Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau)
8.10.2020 | 18 Uhr: „Bürgschaft für ein Jahr“ (DDR 1981)
Im Gespräch: Diana Düring (Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Fachbereich Sozialwesen)
Moderation: Wieland Koch (Landeszentrale für politische Bildung Thüringen)
13.10. 2020 | 18 Uhr: „Freistatt“ (Deutschland 2014)
Im Gespräch: Wolfgang Rosenkötter (Vorbild für die Figur des Wolfgang)
Moderation: Wieland Koch (Landeszentrale für politische Bildung Thüringen)
15.10.2020 | 18 Uhr: „Systemsprenger“ (Deutschland 2019)
Im Gespräch: Prof. Dr. Friedhelm Peters (Evangelische Hochschule Dresden), Carsten Nöthling (Deutscher Kinderschutzbund Thüringen)
Moderation: Wieland Koch (Landeszentrale für politische Bildung Thüringen), Diana Düring (Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Fachbereich Sozialwesen)
Die Veranstaltungsreihe wird gefördert und unterstützt durch:
• Ernst-Abbe-Hochschule Jena
• Fachbereich Sozialwesen, Ernst-Abbe-Hochschule Jena
• Förderkreis der Ernst-Abbe-Hochschule Jena e.V.
• Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau
• Landeszentrale für politische Bildung Thüringen
• Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
• Kino im Schillerhof/Kino am Markt
• Goethe Galerie
Nachfolgend finden Sie Statements und Kontaktdaten der Veranstalter:
Diana Düring: „Mir geht es darum, das Verhältnis von Zwang und Erziehung in der Kinder- und Jugendhilfe öffentlich zu thematisieren und auch zu kritisieren. Wir wissen aus der Aufarbeitung der gewaltförmigen Praxis der DDR-Heimerziehung und der BRD-Heimerziehung der 1950 bis 1980er Jahre, welche katastrophalen Folgen solche „Hilfen“ für die Betroffenen haben. Und dennoch ist auch die ‚moderne KJH‘ nicht frei von Zwangselementen, die im pädagogischen Alltag angewendet werden (z.B. Time-Out-Räume, starre Stufensysteme). Nach wie vor gibt es Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, die Kinder und Jugendliche „geschlossen“ unterbringen – also einsperren; seit diesem Jahr auch in Thüringen. Mit dem Blick auf Kinder- und Jugendhilfe unter ganz unterschiedlichen ‚Vorzeichen‘ möchte ich eine Diskussion anregen, die aufmerksam macht, auf die strukturellen Ursachen von Zwangsmaßnahmen in (öffentlicher) Erziehung.
Kontakt: Prof. Dr. Diana Düring, Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Fachbereich Sozialwesen diana.duering@eah-jena.de, Tel.: 03641 - 205 858
Wieland Koch: „Die Situation von Kindern und Jugendlichen ist ein wichtiger politischer Seismograph. In Deutschland sind die Rechte, die Förderung und der Schutz von Kindern und Jugendlichen gesetzlich fixiert, die Bundesrepublik hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Die staatliche Kinder- und Jugendhilfe soll ihren Beitrag zur Entwicklung und Förderung von Heranwachsenden leisten sowie Eltern in ihrer Erziehungsarbeit unterstützen. Die optimale, den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen und v.a. Kindern und Jugendlichen tatsächlich gerecht werdende Ausgestaltung dieser Instrumente bleibt jedoch permanente Aufgabe des politischen Diskurses und Handelns. Die Landeszentrale für politische Bildung stellt sich deshalb seit langem auch diesem Thema und will mit der Beteiligung an der Ausstellung und Filmreihe „ErziehungsZwang – ZwangsErziehung“ den Diskussionsprozess zu Fragen der Kinder und Jugendhilfe mit fördern und sich daran beteiligen.
Kontakt: Wieland Koch, Referat 4 der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen wieland.koch@tsk.thueringen.de, Tel.: 0361 - 57 3211 740
Gabriele Beyler: „Im 30. Jahr der Deutschen Einheit lässt sich feststellen, dass die Schicksale der ehemaligen DDR-Heimkinder inzwischen von Politik und Gesellschaft wahrgenommen werden. Dennoch ist die Anerkennung ihres Status als jüngste Opfergruppe des SED-Regimes keinesfalls zufriedenstellend. Es braucht weiterhin die Aufklärung und Auseinandersetzung mit dem ihnen widerfahrenen Unrecht.
Grundsätzlich ist es dringend notwendig, die Lobby der Heimkinder zu stärken. Als Gedenkstätte leisten wir seit über 20 Jahren wichtige Aufklärungsarbeit, welche Folgen eine repressive Heimerziehung für das weitere Leben der Kinder haben kann. Insofern ist auch der Blick auf das Heute von wichtiger Bedeutung. Wir können nicht begreifen, wie mit dem vorhandenen historischen Wissen Stimmen laut werden, die ein Wegsperren von „unliebsamen schwierigen“ Kindern und Jugendlichen vorantreiben. Es braucht noch mehr Öffentlichkeit und Diskussion, schließlich haben alle Heimkinder ein Recht auf Menschenwürde!“
Kontakt: Gabriele Beyler, Vorstandsvorsitzende Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof (GJWH) Torgau, Trägerverein der Gedenkstätte GJWH Torgau │ Manuela Rummel, Gedenkstätte GJWH Torgau, wiss. Referentin - Leitung Bildung, Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit
g.beyler@jugendwerkhof-torgau.de, m.rummel@jugendwerhof-torgau.de, Tel.: 03421 – 714203
Peter Wurschi: Geschlossene Systeme produzieren ihre eigenen Regeln. Eindrücklich wird das immer wieder, wenn Betroffene von ihrem Schicksal z.B. in den Kinderheimen der DDR berichten. Verbunden mit dem ideologischen Auftrag zur Erziehung des kollektiven Menschenbildes, wurde in den DDR-Heimen jeglicher Wille zur Individualität bekämpft: „Vom Ich zum Wir“ war der Leitspruch der Erziehung. Durch die vielfältige Arbeit von Betroffeneninitiativen, Gedenkstätten und Forscher*innen wissen wir heute viel über die Zustände in den Kinderheimen der ehemaligen DDR und BRD. Dieses Wissen und die Verantwortung vor den Schicksalen der Betroffenen sollte Kontrastfolie für die heutige staatliche Kinder- und Jugendhilfe sein. Die historische Auseinandersetzung mit den ehemals „geschlossenen Systemen“ der Kinder- und Jugenderziehung macht diese transparenter und erzählbarer. Es bleibt der Auftrag der heute Handelnden, diese Erkenntnisse bei der Diskussion um die Ausgestaltung der (staatlichen) Förderung von Heranwachsenden zu berücksichtigen.
Kontakt: Dr. Peter Wurschi, Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur info@thla.thueringen.de; Tel: 0361 – 573114 951;
web: www.thla.thueringen.de