Erinnerungen an 30 Jahre EAH Jena
Es war ein ziemlich chaotischer Beginn, als ich am 7. September 1992 meine Stelle als Professor im damit neugegründeten Fachbereich Medizintechnik (heute Medizintechnik /Biotechnologie) antrat. Es gab keine Räume, kein Geld, aber einen Wust an Aufgaben, die es alle gleichzeitig zu bewältigen galt. So erfuhr ich z. B. am gleichen Tag, dass der Lehrbetrieb am 15. 9. beginnen soll, aber welche Lehrveranstaltungen ich abzusichern habe, konnte mir noch niemand sagen. Es gab ja keinen Stundenplan! Dafür kam noch am gleichen Tag ein Anruf vom Ministerium, dass ich mit sofortiger Wirkung als Gründungsdekan eingesetzt bin (die anderen drei ebenfalls berufenen Professoren waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht da!).
In der Folgezeit haben wir uns voller Elan auf die anstehenden Aufgaben gestürzt und schrittweise einen großen Fachbereich aufgebaut (was so ursprünglich nicht geplant war!). Neben unserer Begeisterung für die gemeinsame Bewältigung der Tagesprobleme und strategischen Aufgaben war es erfrischend zu sehen, mit welcher Begeisterung auch unsere ersten Studierenden die Provisorien annahmen und sich in die weitere Gestaltung des Studiums und des Fachbereiches einbrachten.
Und was waren das für Provisorien!!! Die Folien für meine nächste Lehrveranstaltung wurden meist nachts gezeichnet (tagsüber gab es ständig ad-hoc Entscheidungen von großer Wichtigkeit zu behandeln). Öfters kam ich 5 - 10 Minuten zu spät in die Lehrveranstaltung, weil die letzte Folie noch nicht fertig war. Wenn man sich heute den „eingeschwungenen Zustand“ ansieht, kann man sich kaum noch vorstellen, wie unklar am Anfang alles war. Da fällt einem als Erstes die ständige Diskussion über den endgültigen Standort ein. Von Maua über das ehemalige Armeegelände der Roten Armee in Jena Nord bis zur Frage des Umzuges nach Gera stand alles auf der Tagesordnung. Und am Ende blieb es doch Gott-sei-Dank bei dem jetzigen Standort!
Es war eine faszinierende Zeit und wir alle waren stolz und glücklich über das Geschaffene. Und wir waren eine verschworene Einheit aus Studierenden, Mitarbeitern und Professoren, was uns half, viele schwierige Verteilungskämpfe erfolgreich zu bestehen. Wir haben uns damals nur oft gewünscht, es wären schon mehr Kollegen eingestellt/berufen, damit sich die unendlich viele Arbeit auf mehr Schultern verteilt. Als wir dann wirklich schnell mehr wurden, war es genauso schnell vorbei mit der verschworenen Einheit, eine Erfahrung, die nicht neu ist und die nicht wir allein gemacht haben.
Neben dem Aufbau der Lehre gelang es uns durch exzellente Berufungen auch eine international hoch anerkannte Forschung aufzubauen. Auch damit betraten wir für die etablierten Fachhochschulen in den alten Bundesländern Neuland. Solche Kollegen wie Prof. Voß, Prof. Meyer, Prof. Spangenberg, um nur einige zu nennen, genossen hohe internationale Anerkennung, und der „Ritterschlag“ war dann die erfolgreiche Bewerbung für ein EU-Projekt (ITN-Network SAMOSS) zur internationalen Doktorandenausbildung. Hier war die EAH Jena die erste deutsche Fachhochschule, die in einem solchen Doktoranden-Projekt als Koordinator fungierte!!!
Es gäbe noch so vieles zu berichten aus den Erfahrungen von 30 Jahren Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Es war eine bewegte Zeit und es hat sich gelohnt, daran mitgearbeitet zu haben! Vielleicht ergibt sich im nächsten Jahr zum 30-jährigen Bestehen des Fachbereiches die Möglichkeit zu einem ausführlicheren Erinnern.
Wenn ich aus den Erfahrungen meiner 29 Jahre an der EAH Wünsche an den Fachbereich äußern dürfte, wären es vor allem zwei: Erstens würde ich mir wieder mehr Einigkeit und Aufeinanderzugehen im Fachbereich wünschen und von den Studierenden, dass sie sich wieder engagierter in Entscheidungsprozesse im Fachbereich einbringen, wie das unsere ersten Jahrgänge so hervorragend getan haben!
„Machen Sie mal Kanzler!“
Nach mehr als 13-jähriger Tätigkeit im Entwicklungslabor für Feinmessgeräte im ehemaligen VEB Carl Zeiss Jena habe ich 1981 eine Lehrtätigkeit (Fertigungsmesstechnik und Mathematik) an der damaligen Ingenieurschule für wissenschaftlichen Gerätebau „Carl Zeiss“, einer der drei in Thüringen für den Beginn einer Fachhochschulausbildung vorgesehenen Ingenieurschulen (vgl. den Beitrag von Prof. Dr. Bornkessel in der Festchronik zum 20-jährigen Bestehen der Fachhochschule) übernommen.
Die nach 1989 notwendigen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen hatten unter anderem auch personelle Neuaufstellungen an der Ingenieurschule zur Folge. In deren Ergebnis wurde ich im September 1990 zu einem der beiden Stellvertreter des Direktors berufen. Der zugeordnete Verantwortungsbereich umfasste die gesamte Verwaltung einschließlich der technischen Bereiche und die für die Studienorganisation zuständigen Struktureinheiten.
Ein Physiker als Verwaltungschef – kann das funktionieren?
Diese Frage habe ich mir anfänglich häufig gestellt, sicher auch mancher Mitarbeiter, zumal ich verwaltungstechnischen und organisatorischen Abläufen bis dahin oft skeptisch gegenüberstand.
Zu den am Anfang wichtigsten Aufgaben (die Wiedervereinigung stand unmittelbar bevor) gehörte neben der Sicherung von Arbeitsplätzen – in den „neuen“ Bundesländern gingen zigtausendfach Arbeitsplätze verloren – die Anpassung der Verwaltungsabläufe an das neue Rechts- und Gesellschaftssystem, die Sicherung des Studienablaufs in der noch laufenden Ingenieurausbildung und die Einführung von moderner Rechentechnik in der Verwaltung. Letzteres wurde nicht immer mit Begeisterung aufgenommen, nach internen Schulungsmaßnahmen dann akzeptiert und war nach kurzer Zeit unverzichtbar.
Nach vielen Diskussionen und Konzepten wurde, unter Beachtung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates, im Frühjahr 1991 von der Landesregierung Thüringen entschieden, zum 1.9.1991 drei Fachhochschulen zu gründen. Am 8.7.1991 kam vom Wissenschaftsministerium der Auftrag an mich, neben den Aufgaben als stellvertretender Direktor der Ingenieurschule die Geschäfte als „amtierender Verwaltungsdirektor der Fachhochschule Jena in Gründung“ wahrzunehmen.
Wiederum die Frage: Reichen meine bis dahin erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen dafür aus? Die Arbeit im Verwaltungsbereich hatte ich bis dahin nur als vorübergehenden Ausflug angesehen, zumal ich 1992 mit meiner Bewerbung auf eine Professorenstelle erfolgreich war. Im Mai 1992 stellte mich dann der Staatssekretär, Dr. Brans, nach kurzer Diskussion vor die Frage, ob ich Professor oder Kanzler werden wolle und entschied im gleichen Atemzug: „Machen Sie mal Kanzler!“.
Der damit aus zeitlichen Gründen verbundene Verzicht auf Lehr- und Forschungstätigkeit ist mir zunächst nicht leicht gefallen. Die Möglichkeit, sich einer neuen Aufgabe zu stellen, war aber von großem Reiz; von vielen Seiten wurden Hilfe und Unterstützung angeboten.
Dankbare Erinnerung bleibt an einen zweiwöchigen Aufenthalt an der FH Gießen mit der Möglichkeit zur Hospitation in allen Verwaltungsbereichen, ebenso wie an die Möglichkeit zur Mitarbeit im Arbeitskreis Haushalt/Personal der Arbeitsgemeinschaft der FH-Kanzler. Noch heute gibt es aus dieser Zeit gute persönliche Kontakte zu den früheren Kollegen.
Was bleibt aus der Gründungszeit in Erinnerung?
Das Hauptgewicht der Arbeit lag, neben der Gewinnung von geeigneten Mitarbeitern – alle Stellen wurden ausgeschrieben, einen automatischen Übergang von der Ingenieurschule zur Fachhochschule gab es nicht – auf der Mittelbeschaffung für die Personal- und Geräteausstattung der Hochschule. Einen eigenen Haushalt hatte die Hochschule bei der Gründung noch nicht und gelegentlich musste man daran erinnern, dass für den Auf- und Ausbau der Hochschule bei ständig steigenden Studentenzahlen doch erhebliche finanzielle Mittel notwendig sind.
Ein weiterer Schwerpunkt war die Vorbereitung der Sanierung und Rekonstruktion der zunächst teilweise angemieteten und später vom Freistaat Thüringen für die Fachhochschule angekauften Gebäude. Einiger Aufwand war auch erforderlich, um Bestrebungen von Lokalpolitikern aus Gera zur Verlegung der FH nach Gera abzuwehren.
Konsequent wurde seit Gründung daran gearbeitet, die Hochschule auch im Bereich der Forschung als Partner für die sich insbesondere im Raum Jena entwickelnde Industrie attraktiv zu machen. Dies ist gut gelungen, schon nach wenigen Jahren gab es auch Forschungsvorhaben mit ausländischen Partnern.
Für die Bearbeitung von Forschungsthemen benötigt man, ebenso wie für die Ausbildung, eine leistungsfähige Bibliothek. Es gelang nach längeren Verhandlungen, die komplette wissenschaftliche Bibliothek des ehemaligen VEB Carl Zeiss zu übernehmen, für einen symbolischen Kaufpreis und die Verpflichtung zur Übernahme der Mitarbeiter. Ein gutes Geschäft für die Hochschule, hatten wir doch dadurch sofort eine gut ausgestattete Bibliothek, die sich mit der vorhandenen, vorrangig mit Lehrbüchern ausgestatteten Bibliothek ideal ergänzte.
Bei der Ausleihe älterer Literatur gibt es auch heute noch Verwunderung über kyrillische Schriftzeichen in vielen Büchern. Bei der Demontage der Firma Zeiss im Jahr 1946 war deren wissenschaftliche Bibliothek einschließlich der Privatbibliothek von Ernst Abbe, dem späteren Namensgeber der Hochschule, als Reparationsleistung in die Sowjetunion gelangt und wurde 1984 zurückgegeben.
Notwendig war weiter die Erarbeitung der Grundordnung für die Hochschule, die Erarbeitung von Studien- und Prüfungsordnungen, von Wahlordnungen für die Selbstverwaltungsgremien sowie die Organisation der Wahlen. Daneben gab es das „Tagesgeschäft“ mit diversen Besprechungen, der Bearbeitung von Anfragen und viele Telefonate. Alles sollte möglichst gleich oder sofort erledigt werden.
Mit der Wahl des ersten Rektors und dessen Amtseinführung am 27. Januar 1994 war dann ein gewisser Abschluss der Gründungsphase erreicht. Viele Projekte waren auf den Weg gebracht, die Fertigstellung des Campus hat aber doch bis zum Jahr 2008 gedauert, deutlich länger als ursprünglich geplant. Ständige, zum Teil sogar mehrfache Umzüge von Mitarbeitern und Laboren waren durch die Umbau- und Sanierungsmaßnahmen unausweichlich und haben von den Betroffenen viel Verständnis und Einsatz verlangt.
Trotzdem waren die Bereitschaft und das Engagement der Mitglieder und Angehörigen der Hochschule, sich bei Aufbau der Hochschule einzubringen, beeindruckend – auch wenn es in manchen Fällen Enttäuschungen gab, weil die angestrebte Position nicht erreicht oder persönliche Wünsche nicht erfüllt werden konnten. Enttäuschungen ganz anderer Art gab es aber auch, wenn wir von der Mitarbeit mancher Kollegen beim Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR erfahren haben.
Die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Hochschulleitung und mit den Fachbereichen hat häufig schnelle Entscheidungen auf dem „kleinen Dienstweg“ ermöglicht, das Gleiche gilt für die stets ergebnisorientierte Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsministerium. So hat Dr. Fickel, der erste Wissenschaftsminister in Thüringen, in einer Besprechung einmal auf die Frage eines Teilnehmers, ob und wo ein bestimmter Vorgang geregelt sei, sinngemäß geantwortet: „Freuen Sie sich, wenn es nicht geregelt ist, denn dann können Sie selbst entscheiden“. Diesen Spielraum haben wir anfänglich oft und ausgiebig genutzt.
Kann ein Physiker Kanzler?
Bezüglich meiner Person muss die Frage von Dritten beantwortet werden. Die Erfahrungen der Hochschule mit Physikern im Amt des Kanzlers scheinen jedoch gut zu sein, meine beiden bisherigen Nachfolger im Amt waren ebenfalls Physiker. Und schließlich kann eine Physikerin sogar Bundeskanzler!
Alle guten Wünsche für die Hochschule zum dreißigsten Gründungsjubiläum!
Von 1992 bis 2009 war ich als Professorin an der Fachhochschule Jena im Fachbereich Physikalische Technik tätig. Doch auch in anderen Fachbereichen habe ich Statik, Festigkeitslehre, Konstruktion, CAD und Geräteelemente gelehrt. Von 1993 bis 2005 war ich Mitglied des Konzils der FH und bis zur Gründung des großen FB Scitec auch Mitglied des Fachbereichsrates PT.
Vor meiner Berufung an die FH Jena habe ich 21 Jahre im Forschungszentrum des VEB Carl Zeiss Jena als Konstrukteur, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Berater in den Bereichen Numerik und Feinmesstechnik des Forschungszentrums gearbeitet. 1991 gehörte ich zu den ca. 17.000 Zeissianern, die wegen der Auflösung zahlreicher Entwicklungsabteilungen arbeitslos wurden
Als ich im Herbst1992 als Professorin an die FH berufen wurde, waren die Bedingungen mitunter schwierig, da nicht genügend Räumlichkeiten für die neu gegründete FH zur Verfügung standen. Die vorhandenen Räume der ehemaligen Ingenieurschule reichten nicht aus. Zunächst wurden überwiegend nicht mehr genutzte Räume und Werkhallen des Zeiss-Werkes zusätzlich zur Verfügung gestellt, sowohl im Hauptwerk als auch im Südwerk und im Bau 6/70. So musste ich fast jährlich meinen Arbeitsplatz wechseln und die Räume für die Lehrveranstaltungen waren mitunter kaum zumutbar.
Hier drei besonders erwähnenswerte Beispiele:
Einer meiner ersten Arbeitsplätze befand sich im ehemaligen Zeiss-Hauptwerk mit Blick auf den Innenhof. Dort war gleich nach der Wende ein Parkdeck gebaut worden, das dann aber wieder „zurückgebaut“ wurde. Der Lärm der Presslufthämmer drang selbst durch geschlossene Fenster und machte eine vernünftige Vorlesung oder Übung unmöglich. Außerdem musste ich dort zusehen, wie hinter den Fenstern gegenüber nach und nach die Lichter erloschen und die Menschen, die dahinter ihr Büro hatten, in die Arbeitslosigkeit gingen.
In einer Werkhalle des ehemaligen Zeiss-Betriebes G (optischer Präzisionsgerätebau), dem jetzigen Haus 4, befanden sich unter dem Dach Büroräume. Diese waren für Lehrveranstaltungen mit kleinen Seminargruppen von der Größe her ausreichend, denn die Zahl der Studierenden war noch überschaubar. Sie hatten aber den Nachteil, dass das Dach undicht war. Bei Regenwetter halfen nur aufgespannte Regenschirme gegen die Nässe von oben.
Einige Male wurde uns ein Raum einer kurz zuvor geschlossenen Kinderkrippe in Neulobeda-West für die Lehre zugewiesen. Dort war noch fast alles unverändert, sogar die Reihen der kleinen Toiletten waren noch vorhanden, nebst dem dazugehörigen Geruch. Auf kleinen Stühlchen mussten wir aber nicht sitzen.
Doch Dank des guten Verhältnisses der Kolleginnen und Kollegen untereinander und unseres Engagements haben wir so manches Start-Problem gemeistert.
Als ich 2009 in den Ruhestand eintrat, war der Campus bereits zu einem modernen Areal ausgebaut und solche Bedingungen wie in der Zeit, als sich die FH noch im Aufbau befand, undenkbar.
Auch in der Lehre hat sich natürlich im Laufe der Jahre einiges geändert. Die Studierenden, die nur noch das bundesdeutsche Schulsystem absolviert hatten, kamen nun mit anderen Voraussetzungen und Verhaltensweisen, die mitunter gewöhnungsbedürftig waren. Die Inhalte der Lehre mussten entsprechend angepasst werden.
Besonders gerne habe ich mit den Studierenden gearbeitet, die bereits einen Beruf erlernt hatten. Diese waren hoch motiviert und sie wussten worum es ging.
Bei diesem kleinen Beitrag zu den besonderen Bedingungen in der Anfangszeit möchte ich es belassen.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dipl.-Ing. Ulrike Hentschel
Mein Name ist Rainer Hirt. Ich bin 1943 in Coburg in Oberfranken geboren.
Am Ende der 1960er Jahre arbeitete ich mehrere Jahre an einer Lernbehindertenschule in Frankfurt(M) und begann ein drittes Studium in Philosophie und Erziehungswissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität.1992 kam ich nach Jena. Als ich in die neuen Bundesländer kam, hatte ich nicht die Absicht, wie das vielen `Wessis´ zu Recht oder zu Unrecht unterstellt wurde, den `Osten´ zu beglücken, sondern ich selbst fand in den neuen Bundesländern das Glück. Davon später.
Im ersten Jahr arbeiteten wir unter äußerst provisorischen Bedingungen. Einen Fachbereich Soziale Arbeit gab es an der ehemaligen `Ingenieurschule Carl-Zeiß´ nicht. `Wir´, das waren sechs Kolleginnen und Kollegen - von Erika Fellner, der Gründungsdekanin, paritätisch ausgewählt: Drei Frauen, drei Männer, drei aus dem Osten und drei aus dem Westen.
Mit von der `Partie´ waren die inzwischen leider verstorbene Martina Neubauer als Leiterin des Praxisamtes, Birgit Engmann, die immer noch im Prüfungsamt arbeitet und Jens Schmelzer, dem technischen Mitarbeiter. Erika Fellner oblag die Organisation des Fachbereichs. Das war für sie keine leichte Aufgabe, denn sie musste u.a. überall in der Stadt Räume organisieren, die es oben in der früheren Tatzendpromenade für uns nicht gab.
Der Bau, in dem wir erst 2001 unterkamen, wurde damals noch saniert. Das heißt, wir waren zunächst in einem ehemaligen Kindergarten in Lobeda West untergebracht. Später zogen wir in einen Trakt des ehemaligen Hauptwerks `Carl-Zeiß´, unter dem heute die Straßenbahn auf den Campus der Universität fährt und noch später im Trakt hinter und über der Endhaltestelle. Dort waren die Lehrbedingungen günstiger.
Mein `Glück´ unter diesen Bedingungen im ersten Jahr fand ich im intellektuellen Austausch mit den StudentInnen. `Glück´ deshalb, weil ich im Gegensatz zu meiner Tätigkeit an der Lernbehindertenschule in Frankfurt, an der Hochschule den geistigen Austausch mit Gleichen hatte, der mir persönlich ungeheuerlich viel an Kenntnis, Fähigkeit und Phantasie brachte.
Ich hatte die Möglichkeit, im Rahmen der Lehrfreiheit meine Vorstellungen von Studium, Lernen und Bildung zu realisieren. Dazu gehörten für mich vier Aspekte: zum einen die Einsicht, die ich aus meinem eigenen Studium mitgebracht hatte: Studienzeit ist Lebenszeit.
Zweitens : Lernen und Bildung sind besser in Seminaren und weniger in Vorlesungen möglich; denn Vorlesungen erinnerten mich immer an Predigten in Kirchen.
Drittens bedeutete mir der Gedanke des Sozialphilosophen Theodor W. Adornos viel, der einmal Bildung als die `Bearbeitung innerer Natur´ bezeichnet hatte. Und schließlich die Relevanz von Biographiearbeit, die es ermöglicht, die Subjektivität des Menschen (Experten, Klienten, Arbeitsfelder und Einrichtungen) auch im Rahmen von gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenhängen zu sehen.
Was hieß das konkret? In einem Seminar über die Sozialpädagogik Friedrich Fröbels zum Beispiel organisierten wir eine `Fröbel-Tour´ - eine zweitägige Wanderung im Schwarzatal des Thüringer Waldes, auf der wir das Geburtshaus von Fröbel in Oberweißbach, den Fröbel-Kindergarten in Bad Blankenburg und den `Fröbelstein´ besuchten, um schließlich in der Nähe des Fröbelturms abends am Feuer über die Bedeutung Fröbels für die Sozialpädagogik zu diskutieren.
Das alles wurde im Seminar an der Hochschule vertieft und intensiv weiterbearbeitet. Auf die Frage: Was verstehst du eigentlich unter `Bildung´? habe ich immer geantwortet: Wenn du alles gelesen und alles wieder vergessen hast - was dann übrigbleibt, das ist Bildung. Und der Gedanke des Philosophen lmmanuel Kant: `Die Hand ist das Fenster zum Geist´ war für mich immer wegweisend. Bei Kant war das die Hand, die die Welt `begreift´ und nicht schnell über das Smartphone huscht um die Welt zu erfahren.
Im Jahr 2009, nach 17 Jahren, war meine Tätigkeit an der Hochschule beendet. Obwohl ich noch gerne weitergearbeitet hätte, wurde es mir vom Kultusministerium untersagt. Wenn es, angesichts des Glücks an der Hochschule zu lehren, so etwas wie ein Unglück in meinem Leben gegeben hat, dann war es das Ende meiner Lehrtätigkeit in Jena.
Was ich den derzeitigen StudentInnen mit auf den Weg geben möchte? Nutzt eure Studienzeit nicht nur für die Vorbereitung auf den Beruf , sondern vor allem lebt in ihr. Denn die Zeit, in der ihr euch mit vielen Anderen intellektuell, sozial und emotional auseinandersetzen könnt, kehrt nicht mehr wieder.
Jena, 13. April 2021
Rainer Hirt
1. Bitte stellen Sie sich kurz vor:
Mein Name ist Michael Meyer. Ich war von 1992 bis 2018 Professor für Biologie/Mikrobiologie bzw. Biologie/Molekulare Medizin am Fachbereich Medizintechnik, später FB Medizintechnik und Biotechnologie.
2. Wie gestaltete sich Ihr Arbeitsleben, vor allem in Ihrem ersten Jahr an der Hochschule?
Der Fachbereich Medizintechnik wurde im Herbst 1992 gegründet und ich gehörte zu den ersten vier Professoren des Aufbauteams. Dabei war der Start für mich abenteuerlich. Die Bewerbung um die Professur einschließlich der Probevorträge hatte im Frühjahr 1992 stattgefunden. Danach hörte ich zum Stand des Berufungsverfahrens nichts mehr bis mich im September ein Kollege, der sich ebenfalls auf diese Professur beworben hatte, anrief und mir zu meiner Berufung gratulierte. Er hatte diese Information auf Nachfrage im Ministerium erhalten. Als ich mich daraufhin überrascht im Wissenschaftsministerium meldete, stellte sich heraus, dass der zuständige Beamte es schlicht vergessen hatte, mir das Schreiben mit dem Ergebnis des Berufungsverfahrens zu schicken. Ich sollte also umgehend ins Ministerium kommen und das Schreiben persönlich abholen. Als ich dann das Chaos im Büro dieses Beamten erblickte – überall auf allen Flächen einschließlich des Fußbodens Papiere ausgebreitet – wunderte mich nichts mehr. Mich wunderte allerdings später, als dieser Beamte für wenige Jahre (in den 90igern) eine Verwaltungsaufgabe an unserer FH übernahm, dass das von mir befürchtete Chaos ausblieb oder zumindest hörte ich nichts davon. Für mich bedeutete die vergessene Mitteilung zur Berufung, dass ich eine Woche Zeit hatte, die erste Vorlesung Anfang Oktober vorzubereiten und das unter Bedingungen, die wir aus heutiger Sicht als katastrophal bezeichnen würden – keine Computertechnik, Overhead-Projektoren waren nur teilweise verfügbar, ein Büro-Arbeitsplatz gemeinsam mit dem Hochschulplaner in einem Durchgangsraum, der eher einem Flur entsprach.
3. Was war besonders für Sie?
Trotz dieser eben geschilderten sehr suboptimalen Startbedingungen war mein Enthusiasmus groß. Ich gehöre zu der Generation von Wissenschaftlern, deren Karrierechancen in der DDR aufgrund fehlender SED-Mitgliedschaft sehr begrenzt waren. Bei mir endeten sie trotz Promotion B (Habilitation) auf der Stufe eines Oberassistenten. Nach der Wende 1989 wurden die Hoffnungen der Wissenschaftler in meiner Situation meist enttäuscht: In den Evaluationsverfahren der Nachwendezeit, maßgeblich von westdeutschen Kollegen geleitet, wurden viele der Inhaber akademischer Positionen bestätigt, wenn sie nicht gerade Stasi-belastet waren, Chancen für Leute mit blockierten DDR-Karrieren blieben rar. Bei mir kam hinzu, dass meine Arbeitsstelle, die Medizinische Hochschule Erfurt, vormals Medizinische Akademie Erfurt, als beinahe einzige Hochschule in Deutschland vor der Schließung stand. Die Berufung an die FH Jena war für mich daher eine hervorragende Chance, eigene Vorstellung in Lehre und Forschung zu entwickeln und umzusetzen.
4. Woran und/oder an wen denken Sie sehr gerne zurück?
Dieses gemeinsame Vorhaben, einen neuen Fachbereich Medizintechnik nach eigenen Vorstellungen aufzubauen, verband die kleine Gruppe von Professoren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den ersten Jahren sehr eng. Die Zusammenarbeit, der enge Austausch, die lebhafte Kommunikation in dieser Zeit war sehr inspirierend und hat viel Spaß gemacht.
Sehr gern denke ich an eine ganze Reihe von Studierenden zurück, mit denen ich im Rahmen von Forschungsarbeiten im Labor zusammengearbeitet habe und von denen die meisten sehr interessante und erfolgreiche berufliche Wege eingeschlagen haben.
Erwähnen möchte ich an dieser Stelle auch die fakultativen Bioethik-Seminare in den letzten Jahren meiner Lehrtätigkeit. Hier wurde für mich deutlich, dass sich nicht wenige Studierende neben der fachlichen Ausbildung von ihren Hochschullehrerinnen und -lehrern auch eine Orientierung oder zumindest eine Diskussion zu (berufs)ethischen, weltanschaulichen, gesellschaftspolitischen Fragen wünschen. Für mich waren diese Seminare in einigen Jahrgängen hochinteressant und anregend.
5. Was möchten Sie den derzeitigen Studentinnen und Studenten mit auf den Weg geben?
Die Erfahrungen der beiden Pandemie-Jahre haben deutlich vor Augen geführt, wie wertvoll die Arbeit nicht nur von Ärztinnen und Pflegern, sondern auch von Wissenschaftlern und Ingenieuren, namentlich Biotechnologen und Medizintechnikern, für die Bewältigung dieser Gesundheitskrise ist. Ähnliches gilt in noch viel stärkerem Maße für die Krisen im Klima- und Umweltbereich, die uns nicht Jahre sondern Jahrzehnte beschäftigen werden. Beruflich einen Beitrag zur Lösung von wichtigen globalen wie lokalen Problemen leisten zu können ist ein Privileg und kann (oder sollte?) im Studium eine zusätzliche Motivation neben der Aussicht auf ein gutes Einkommen sein.
Prof. Dr. Michael Meyer
Im Jahr 2005 folgte ich als Physiker dem Physiker Gutsch im Kanzleramt. Bis dahin konnte ich beruflich auf eine 14-jährige Forschungstätigkeit im Jenaer Akademieinstitut ZIMET und auf eine 14-jährige Verwaltungserfahrung im Thüringer Wissenschaftsministerium zurückblicken.
Nach der ersten der dann jährlichen Klausursitzungen mit den leitenden Verwaltungsmitarbeitern erhielt ich 2006 von dem eingeladenen Organisationsberater als Einschätzung: Viele Chefs würden mich um eine solche Verwaltung beneiden, weil es keine persönlichen Spannungen zwischen den Mitarbeitern gäbe und alle für ihre Arbeitsaufgaben hoch motiviert seien. Nur würden die meisten an der Belastungsgrenze arbeiten, ich solle daher für eine Arbeitsentlastung sorgen – das ist mir in den folgenden acht Jahren leider nicht gelungen. Am Ende meiner Dienstzeit gab es trotz steten Aufgabenzuwachses immerhin ein Formular weniger als am Beginn.
Anfangs versuchte mich ein Professor zur grundlegenden Änderung der bisherigen Verwaltungspraxis zu bewegen. Die öffentliche Verwaltung sei so schwerfällig, sie würde seine Arbeit erschweren, in der freien Wirtschaft wäre es ihm viel besser gegangen. Ich erläuterte ihm das öffentliche Verwaltungsrecht und erinnerte ihn daran, dass sein Beamtenstatus nicht nur den Nachteil des Gelübdes der ewigen Armut beinhaltet, sondern auch den Vorteil, dieses ohne Kündigungsfrist auf der Stelle durch seine schriftliche Erklärung beenden zu können. Dann könne er sofort wieder die Vorteile der freien Wirtschaft genießen. Er ging mir fortan aus dem Weg.
Die Hochschulverwaltung habe ich im Gegensatz zu einer Behördenverwaltung nicht als ein geschlossenes Organisationssystem verstanden, sondern als ein sich selbst stabilisierendes offenes System in Anlehnung an die Chaostheorie. Wenn jeder Mitarbeiter nur seine originären Dienstaufgaben erfüllt hätte, würde die Hochschulverwaltung zusammenbrechen. Sie lebt von der Kreativität und der Eigenverantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters in allen Referaten, Stabsstellen und Fachbereichen für die Hochschule, neudeutsch von der corporate identity. Das setzt Vertrauen voraus. Leitbilddiskussionen u. Ä. hielt ich daher für überflüssig.
Eine Meisterleistung aller Verwaltungsmitarbeiter in den Fachbereichen, Referaten und Stabsstellen war unter Mitwirkung von zahlreichen Studierenden die generalstabsmäßig durchgeführte erstmalige Inventarisierung aller beweglichen Vermögensgegenstände in allen Räumen der Hochschule unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Hans Klaus am 28. und 29.10.2009 als Grundlage für die erste Eröffnungsbilanz der Hochschule zum 1.1.2010. Die anderen Thüringer Hochschulen hatten damit Fremdfirmen für viel Geld beauftragen müssen.
Bereits 2007 hatte der Senat innerhalb von fünf Monaten auf der Grundlage der von mir vorgeschlagenen Verfahrensordnung die neue Grundordnung mit ihren Folgeordnungen erarbeitet, ohne dass die vorausgesagten Kämpfe zwischen den verschiedenen Fachbereichen eingetreten waren, und sie dann sogar volkskammerverdächtig einstimmig beschlossen. Für unsere erste eigene Geschäftsordnung brauchten wir im vierköpfigen Rektorat hingegen drei Jahre.
Unsere deutsche Verwaltung ist viel besser als ihr Ruf. So bedankten sich beispielsweise zwei Polinnen für unsere hervorragende Hochschulverwaltung. Sie seien es von zu Hause aus nicht gewöhnt, dass Zusagen eingehalten werden und sie sachgerechte und hilfreiche Auskünfte ohne Zahlung eines Bakschisch erhalten. Ein Kolumbianer war fassungslos, dass die Abfahrtszeiten der Busse vor der Hochschule tatsächlich gelten. Wir können dankbar sein für unseren Rechtsstaat mit seinen zuverlässigen Verwaltungen.
Die Hochschulverwaltung ist ein Unterstützer und Förderer des Hochschullebens, sie ist der Garant für das Vertrauen der Parlamente in die staatlichen Hochschulen und Universitäten. Ohne eine vertrauensvolle und respektvolle Partnerschaft zwischen den Lehrenden und Forschenden einerseits und ihrer Verwaltung andererseits kann die im Artikel 5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gewährte Freiheit in Lehre und Forschung nicht gelebt werden.
Dr. Theodor Peschke
Nach der weitverbreiteten Euphorie der friedlich verlaufenen politischen Wende kam natürlich im Nachhinein die Frage, die sich viele stellen mussten: Was wird aus uns?
Auch wir, die Mitarbeiter/innen der Ingenieurschule „Carl Zeiss Jena“ mussten uns diese Frage stellen. Eine große Erleichterung war es, als sich der Wissenschaftsrat für die Gründung einer Fachhochschule aussprach.
Aus der ehemalige Ingenieurschule wurde am 01.10.1991 die Fachhochschule Jena gegründet.
Im Zuge der Neugründung musste natürlich auch die Studierendenverwaltung aufgebaut und reformiert werden. Der Gründungsrektor – Herr Professor Werner Bornkessel – fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, dies zu machen. Nach kurzer Überlegung übernahmen ich und meine ehemalige Kollegin – Frau Petra Jauk – den Aufbau des Studierendensekretariates und Frau Jauk anschließend die Studienberatung.
Wir kamen aus einem ganz anderen Wirkungskreis und hatten mit der Hochschulverwaltung rein gar nichts zu tun. Aber unsere Bereitschaft etwas „Neues“ aufzubauen, war riesengroß. Natürlich mussten wir dabei auch Rückschläge hinnehmen.
Mit Unterstützung der Fachhochschule Gießen wurden im Wintersemester 1991/1992 genau 273 Studierende immatrikuliert. Bis dahin war es ein immerwährender Lernprozess für mich.
Die Flut der Bewerbungsanfragen im ersten Jahr (ca. 700) überraschte uns sehr. Die Briefanfragen wurden mit Schreibmaschine beantwortet. Die Postumschläge wurden wie zu Hause mit Briefmarke einzeln frankiert, mit der Schreibmaschine wurden Briefe beantwortet und Zulassungen erstellt. Das erste Logo der FH Jena wurde zusammen mit Studierenden erstellt. Begriffe wie: Hochschulzugangsberechtigung (HZB), Sprachnachweise, Nebenhörer, Studienkolleg etc. waren Fremdwörter für uns.
Die Unterstützung der Fachhochschule Gießen hielt mindestens noch drei bis vier Jahre an. Dafür bin ich auch im Nachhinein noch sehr dankbar.
Natürlich kamen in einer global vernetzten Welt nun auch die Anfragen ausländischer Studienbewerber/innen an. Das war für mich eine spannende Aufgabe, zu prüfen, unter welchen Bedingungen sie immatrikuliert werden, den ausländischen Sekundarschulabschluss mit dem deutschen Abitur zu vergleichen (HRK/KMK/ZAB) und zu entscheiden, ob die Bewerber/innen noch ein Studienkolleg oder nur den Deutschkurs belegen müssen. Mein erster ausländischer Studierender kam 1991 aus Kamerun – ohne Nachweis der Deutschkenntnisse, aber die HZB war anerkannt.
Jetzt können wir stabil auf über 1.000 ausländische Studierende blicken, die natürlich verwaltungsgerecht begutachtet wurden.
Zum Schluss möchte ich sagen, bis wir dahin gekommen sind, wo wir jetzt sind, war es mitunter ein steiniger Weg. Die HIS-Software kam erst Ende 1992, bis dahin haben wir jeden einzelnen Studierenden in Gießen manuell eingegeben, um die Studierendenausweise/-bescheinigungen drucken zu können. Die Technik war nicht auf den heutigen Stand und die Räumlichkeiten auch nicht.
Aber mit Enthusiasmus und Zuversicht haben die Mitarbeiter/innen die Schwierigkeiten angenommen und Möglichkeiten geschaffen, Dinge zu Ende zu bringen. Vieles geht jetzt leichter, aber es sollte noch mehr die Bürokratie, die uns mitunter das Leben schwermacht, abgebaut werden.
An alle Mitarbeiter/innen, die in diesen 30 Jahren mitgearbeitet haben und jetzt noch mitarbeiten, einen großen Dank für Eure Schaffenskraft, Euer Herzblut und persönliches Engagement – nur mit Euch konnte die Erfolgsgeschichte "30 Jahre EAH Jena" mitgestaltet werden.
Auch die überaus gute Zusammenarbeit der Thüringer Hochschulen im Bereich der Studierendensekretariate/Servicezentren und in anderen Bereichen war ein Garant, Schwierigkeiten zu meistern.
Ich wünsche der Ernst-Abbe-Hochschule, dass sie weiterhin in der Region fest verankert ist, lukrative Lehrangebote hat, Lehrkräfte die sich für ihr Studienfach begeistern und viele Studierende, die bis zum Abschluss ihr Studium durchziehen. Weiterhin wünsche ich mir, dass das unkomplizierte Miteinander der verschiedenen Verwaltungsbereiche weiterhin Bestand hat.
Uwe Scharlock
ServiceZentrum Studium & Studienberatung
Leiter
Wie ein Rheinländer zum Wahl-Thüringer wurde
Im Mittelpunkt meiner „Textstory“ stehen ausnahmsweise einmal nicht die Schwierigkeiten beim Aufbau von Lehre und Forschung an unserer Hochschule, sondern die Probleme, die ich meiner Familie durch den Umzug nach Jena zugemutet habe. Wenn ich die vor der Annahme meiner Berufung geahnt hätte…?
Bis dahin hatte ich fast 40 Jahre lang im Rheinland gelebt. Eigentlich wollte ich diese Landschaft nie verlassen – schließlich waren alle meine Vorfahren auch Rheinländer! Dass meine Ehefrau auch viele Thüringer Vorfahren hat und mein Schwiegervater sogar hier geboren wurde, wusste ich damals noch nicht.
Im Sommer 1995 war ich aber beruflich unzufrieden; da stieß ich auf eine interessante Stellenanzeige einer Fachhochschule im mir unbekannten Jena. „Wir als Ossis?“ fragte mich meine Gattin. Ich kratzte mich am Kopf und meinte dann: „Warum denn nicht?“
Damals kannte ich östlich des ehemaligen „antifaschistischen Schutzwalls“ nur Berlin: 1977 und 1980 war ich nämlich jeweils eine Woche lang in Westberlin gewesen; außerdem war ich 1977 einen einzigen Tag lang durch Ostberlin gelaufen. Danach war ich tief beeindruckt z.B. von Pergamon-Altar und Ishtar-Tor, aber auch von der ruppigen Unfreundlichkeit der DDR-Grenzwächter und deshalb heilfroh, abends wieder „in den Westen“ zurückkehren zu dürfen.
Trotzdem bewarb ich mich, wurde eingeladen und fuhr im Dezember 1995 nach Jena. Ich erinnere mich noch daran, dass mir erst im Zug auffiel: Jena liegt ja gar nicht in Sachsen, sondern in einem mir nicht einmal namentlich bekannten Bundesland, pardon, Freistaat namens Thüringen. Zu meiner Entschuldigung möchte ich anmerken: Wegen „Lehrermangel“, ein „Lehrer*innenmangel“ war damals übrigens noch unbekannt, wurden in meiner Schulzeit „Erdkunde“ und „Geschichte“ als „unwichtige Nebenfächer“ nur sehr gelegentlich unterrichtet. Von der Geschichte und Geografie der neuen Bundesländer hatte ich deshalb leider keinerlei Ahnung.
Zum Glück interessierte sich aber in Jena niemand für meine geografischen oder historischen Kenntnisse; meine technischen und pädagogischen Kenntnisse wurden dagegen offensichtlich als zumindest ausreichend betrachtet. Jedenfalls erhielt ich im Sommer 1996 den Ruf an die damalige Fachhochschule Jena. „Spontan“ verlegten wir deshalb unseren Sommerurlaub nach Thüringen: Wir zelteten in Hohenfelden, wir bummelten durch Jena, Weimar und Erfurt, und wir erlebten unser erstes Konzert in der Kulturarena – natürlich mit der üblichen Unterbrechung durch die Sirene eines vorbeifahrenden Krankenwagens….
Nach diesem Urlaub beschlossen wir, mit unseren drei Kindern nach Jena umzuziehen, und so nahm ich den Ruf an. Am 1.3.1997 wurde ich Beamter des Freistaates Thüringen und arbeite seitdem als Professor für Kraft- und Arbeitsmaschinen im Fachbereich Maschinenbau.
An dieser Stelle möchte ich auf die Darstellung der unglaublichen Schwierigkeiten verzichten, die die Kultusministerien aller Bundesländer allen Familien mit schulpflichtigen Kindern zumuten, die von einem in ein anderes Bundesland umziehen wollen oder müssen. Stattdessen will ich mich hier auf das Thema „Wohnung“ konzentrieren.
Für meine Frau und mich schien der Umzug nach Jena ein lösbares Problem zu sein. Mit dem stattlichen Erlös für unser Reihenhaus am Rande Kölns glaubten wir nämlich, in Jena ein ähnliches Haus erwerben zu können. Tatsächlich wurden uns in Jena aber nur entweder völlig überteuerte Neubauten oder 100 Jahre alte, unbewohnbare „Bruchbuden“ angeboten. Ich erinnere mich noch gut an Plumpsklos über drei Etagen, vom Holzschwamm zerfressene Fußböden und den Versuch, uns beim Hauskauf zu betrügen.
Währenddessen rückte der vereinbarte Auszugstermin immer näher, ohne dass eine neue Bleibe in Sicht war; auch eine für eine fünfköpfige Familie halbwegs zumutbare Mietwohnung war in Jena nicht zu finden. Unsere Lage wurde zunehmend kritischer. Da flatterte uns an einem Freitagnachmittag ein Exposee in den Briefkasten. (Exposees wurden damals tatsächlich noch mit der Post verschickt.) Erneut wurde uns zwar eine unbewohnbare „Bruchbude“ angeboten, allerdings immerhin in geeigneter Größe und vor allem in sehr guter Lage. Ich rief den Makler sofort an, vereinbarte für den Montagvormittag einen Besichtigungstermin und fuhr nur dafür durch halb Deutschland.
Tatsächlich war das Haus zwar unbewohnbar, aber immerhin „rekonstruierbar“ und vor allem sehr schön gelegen. Aber nun wollte der Makler uns das Haus gar nicht mehr verkaufen; er hatte es nämlich schon einer Kollegin versprochen…
Allerdings gelang es uns irgendwie, dem Makler die Nachnamen und die Wohnorte der Verkäuferinnen zu entlocken; deshalb telefonierte ich mich durch diverse Telefonbücher und hatte tatsächlich Glück: Ich erreichte eine der Verkäuferinnen und überzeugte sie, das Haus uns zu verkaufen und nicht der Kollegin des Maklers. Dann musste alles ganz schnell gehen, eine zweite Besichtigung war nicht möglich; meine Frau bewies erneut ihren Mut und unterschrieb den Kaufvertrag für ein Haus, das sie noch nie gesehen hatte.
Auch für die eigentlich notwendige umfassende Rekonstruktion reichte die Zeit nicht mehr; wir mussten deshalb in die unsanierte „Bruchbude“ ziehen. In diesem Haus waren wirklich alle Leitungen defekt; die Wasser- und Heizungsrohre (und natürlich die Heizkörper) waren kaputt gefroren, die Gasleitung war undicht, und aus den Verteilerdosen der Elektroanlage sprühten die Funken. Durch die 90 Jahre alten Einscheiben-Fenster pfiff der Wind, der Putz fiel von den Wänden, an verschiedenen Stellen fanden wir Holzschwamm… Nur das Dach war immerhin neu und dicht.
Erst kurz nach (!) unserem Einzug im Juni 1997 gelang uns wenigstens der Einbau einer Dusche (im Keller!) und einer provisorischen Küche. Wir zogen zunächst ins Ober- und Dachgeschoss, während das Erdgeschoss saniert wurde. Die Sanierung zog sich hin. Überall lag Baustaub. Es wurde Herbst. Schon im November fiel Schnee. Viel Schnee! Es wurde kalt. Sehr kalt! Wir hatten ja noch keine Heizung, und unsere Elektroradiatoren reichten nur für Raumtemperaturen von ungefähr 5°C. Wir zogen drei Pullover übereinander an und froren trotzdem noch! Erst am Heiligabend 1997 konnten wir das erste fertig sanierte und mit unserer neuen Gasheizung geheizte Zimmer beziehen.
Im Laufe der nächsten Jahre wurden dann nach und nach alle Zimmer bewohnbar; irgendwann wurde sogar ein neues Badezimmer eingebaut, und den völlig verwilderten Garten machten wir auch wieder nutzbar. Meiner Ehefrau möchte ich an dieser Stelle für ihr unverzichtbares Engagement danken. Nur durch ihren Einsatz hat mein beruflicher Neubeginn in Jena trotz der geschilderten Randbedingungen zu keinem größeren familiären Fiasko geführt. Und „nebenbei“ hat sie es dann sogar auch noch geschafft, selbst beruflich wieder neu anzufangen.
Im Vergleich zu den Problemen bei unserer Wohnungssuche erscheinen mir dagegen die (im engeren Sinn) beruflichen Schwierigkeiten kaum der Erinnerung wert wie die über zehn Umzüge meines Hochschul-Büros (vom heutigen Studentenwohnheim in Gebäude 6/70, dann in Haus 4, in Haus 1, in Haus 5, in Haus 2 und wieder in Haus 4 usw.) oder der Zustand unseres „Labors“: Dieses Labor bestand nämlich zunächst nur aus einem kahlen Raum, in dem Rainer Schwennicke mit großem Improvisationsgeschick irgendwie trotzdem einen sinnvollen Betrieb möglich machte. Das mir (vor meiner Berufung versprochene) neue Labor konnten Bernhard Kühn und ich erst zehn Jahre später in Betrieb nehmen…
Thüringen ist heute (wieder) ein schönes, wohlhabendes, attraktives Land. Und daran waren und sind auch Migrantinnen und Migranten beteiligt (wie meine Frau und ich). Migration ist zwar schwierig, aber auch lohnend – sowohl für die Menschen als auch für das Land.
Wir schlossen hier Freundschaften, lernten die wunderschönen Thüringer Landschaften lieben und die reiche Geschichte sowie das große Kulturangebot schätzen. Wir sind in Thüringen heimisch geworden.
Rheinländer bin ich selbstverständlich trotzdem geblieben, aber eben außerdem auch noch Wahl-Thüringer geworden.
Bruno Spessert